Kneipp rät: Öfter ohne Schuhe gehen.
Kneipp rät: Öfter ohne Schuhe gehen.

Barfuss aus Überzeugung: ein Leben ohne Schuhe

Interview mit dem Barfuss-Trainer Emanuel Bohlander

Der menschliche Fuss ist nicht für Schuhe gemacht. Davon ist der 33-jährige Emanuel Bohlander überzeugt. Vor einigen Jahren hat er das Barfusslaufen für sich entdeckt und ist damit seine Gelenkprobleme und Schmerzen beim Joggen losgeworden. Heute bietet er als zertifizierter Barfuss-Coach in seiner Barefoot-Academy in Düsseldorf Trainings und Workshops an.

Herr Bohlander, warum barfuss?

Barfussgehen ist für mich die logische Konsequenz. Wir sind evolutionär nicht mit Schuhen ausgestattet worden und Jahrtausende lang barfuss gegangen. Warum sollten wir also nicht auch heute auf unsere Füsse vertrauen?

Was sagen Mediziner zu dieser Ansicht?

Viele Schulmediziner gehen davon aus, dass man bei Fehlstellungen des Fusses diesen mit speziellen Schuhen und Einlagen unterstützen muss. Ich bin kein Orthopäde und möchte mich auch nicht aus dem Fenster lehnen. Immer mehr Studien bestätigen aber meine Meinung, dass Fehlstellungen eher davon kommen, dass wir überhaupt Schuhe tragen. Über Absätze, egal wie hoch, muss ich gar nichts sagen. Doch auch flache Schuhe sind dem Schönheitsideal entsprechend viel zu eng geschnitten: Sie drücken unsere Zehen zusammen, der ganze Fuss verformt sich. Wenn wir barfuss gehen und unsere verkümmerten Füsse wieder auf Normalform trainieren, wird der Fuss merklich breiter – meine Füsse passen in keinen normalen Schuh mehr.

Gehen Sie immer und überall barfuss?

Ich bin da nicht dogmatisch. Ich halte es zwar für das Sinnvollste, draussen habe ich aber meist spezielle Sandalen mit einer sehr dünnen Sohle an. Das ist quasi wie Barfusslaufen, macht es aber gesellschaftlich einfacher. Die Leute gucken selbst im Sommer komisch, wenn man ohne Schuhe unterwegs ist. Besonders, wenn man zum Beispiel barfuss einen Supermarkt betritt. Ausserdem ist der Boden, auf dem wir in Städten gehen, bretthart, da braucht es ein wenig Schutz. Und ich kann so auch mal auf eine öffentliche Toilette gehen. Es geht mir ja nicht darum, zu provozieren, sondern ich will, dass meine Füsse in Form und Funktion nicht verändert werden. Beim Sport wähle ich aber oft gezielt Strecken im Grünen, wo ich ganz ohne Schuhe joggen kann.

Ist es nicht gefährlich, ohne Schuhe zu laufen? Haben Sie sich noch nie verletzt?

Nein. Man bekommt einen sehr guten Blick für den Boden, selbst im Rennen. Natürlich mache ich um Glascontainer bewusst einen grossen Bogen. Aber ich bin auch noch nie in einen Kaugummi, einen Hundehaufen oder eine Biene getreten.

Wie sind Sie zum Barfusslaufen gekommen?

Ich war früher eine Couch-Potato vor dem Herrn. Als ich kurz davor war, die Hundert-Kilo-Marke zu knacken, hat es Klick gemacht. Von einem Tag auf den anderen bin ich täglich gejoggt, habe am Ende rund 25 Kilogramm abgenommen. Doch ich hatte immer Schmerzen beim Laufen: im Knie, in der Hüfte und in den Zehen, die immer blau waren. Ich habe die besten Schuhe gekauft, jegliche Einlagen ausprobiert – nichts hat geholfen. Als ich an dem Punkt war, wo gar nichts mehr ging, bin ich auf das Buch „Born to Run“ gestossen – und das hat alles verändert.

Wie viele Menschen verkümmern ihre Zehen aus Eitelkeit indem sie zu enge Schuhe tragen! Früher oder später werden sie für diese Eitelkeiten viel zu büssen bekommen.

Sebastian Kneipp Quote
Sebastian Kneipp

Dann haben Sie die Schuhe von sich geworfen und die Schmerzen waren weg?

Ich habe mit den sogenannten Barfussschuhen angefangen und mir sofort die Wade gerissen. Eineinhalb Jahre habe ich versucht, mir den richtigen Laufstil anzueignen, mich aber dauernd verletzt. Bis ich schliesslich einen Barfusstrainer gefunden habe, der mir geholfen hat. Er hat mich quasi in den Jäger-Sammler-Modus zurückgesetzt. Ohne Schuhe muss man nämlich ganz anders laufen, als es uns von klein auf antrainiert wird.

Sie haben sich dann selbst zum Barfuss-Trainer ausbilden lassen, Ihren Job als Toningenieur hingeschmissen und leiten nun seit einem Jahr die Barefoot-Academy.

Das Thema hat mich fasziniert und nicht mehr losgelassen. Also habe ich Nägel mit Köpfen gemacht und mein ganzes Leben neu sortiert. In meiner Academy biete ich Workshops, Einzelcoachings und Bewegungstherapien an. Die Arbeit mit und an den Füssen erfordert viel Zeit: Muskeln müssen wieder aufgebaut, die Sehnen gedehnt, die Gelenke bearbeitet werden. Aber es lassen sich tolle Erfolge erzielen.

Haben Sie Tipps, wie jeder selbst seine Füsse ein wenig trainieren kann?

Zuhause barfuss zu laufen, ist ein Muss. Einfach barfuss losjoggen sollte man auf keinen Fall ohne professionelle Anleitung. Eine Übung, die man jederzeit machen kann, ist, im Stehen den grossen Zeh anzuheben und die kleinen Zehen in den Boden zu drücken und andersherum – es ist verrückt, aber viele können das gar nicht mehr. Sie kennen ihre Füsse nicht, weil sie sie nie sehen.

Viele mögen die Vorstellung nicht, dass die Füsse kalt oder schmutzig werden. Sind Socken eine Alternative?

Auch auf Socken sollte man zuhause verzichten, das Elasthan reicht schon, um den Fuss einzuengen und zu verformen. Mal ehrlich, zu kalt ist es drinnen nie, man muss die Füsse eben an das Nacktsein gewöhnen. Zum Beispiel indem man einfach mal kurze Wege barfuss geht, etwa zum Bäcker. Auch wechselnde Fussbäder sind hilfreich. Ich bin anfangs sehr oft durch Kneipp-Becken gewatet.

Sebastian Kneipp war bekanntlich ein grosser Freund des Barfusslaufens.

Ich habe einiges von ihm gelesen und finde es spannend, wir gut er vor mehr als hundert Jahren schon Bescheid wusste. Er hat vieles verbreitet, was heute wissenschaftlich belegt ist. Zwar hat er mehr den naturalistischen Ansatz, während mich eher die Biomechanik fasziniert, trotzdem finde ich seine ganzheitliche Betrachtung spannend: Neben dem Wasser und seiner Heilwirkung spielen in seiner Lehre auch Bewegung und Ernährung eine grosse Rolle.

Nun bekommen sicher viele Leser ein schlechtes Gewissen wegen ihrer Schuhe. Welche Modelle können Sie denn überhaupt noch empfehlen?

Eigentlich nur wenige. Ein Fussbett ist meiner Meinung nach ein No-Go. Doch auch die vielen Barfussschuhe, die es mittlerweile gibt, sind nicht automatisch gut. Die meisten haben zwar eine dünne Sohle, was gut ist, aber im Zehenbereich sind fast alle zu eng.

Wenn Sie immer barfuss gehen, sind Ihre Fusssohlen sicher ungepflegt, rabenschwarz und voller Hornhaut?!

Im Gegenteil: ich finde, dass meine Füsse gepflegter aussehen als die mancher Schuhträger. Das müssen sie auch. Immerhin stehe ich mit ihnen durch meinen Job täglich in der Öffentlichkeit. Sie sind zwar sehr breit und entsprechen daher nicht unbedingt dem Schönheitsideal, aber sie sind immer sauber. Und das ist auch kein Hexenwerk. Wenn ich nach Hause komme, wasche ich sie mit Seife oder Duschgel, so wie sich andere die Hände waschen, wenn sie draussen waren. Auf Dauer bleiben manchmal schwarze Ränder zurück, die mache ich dann mit einem Bimsstein weg.


Bei höheren Strapazen hält Hirschtalg die Haut geschmeidig und belastbar. Übrigens bekommt man entgegen der Erwartungen vom Barfussgehen nicht automatisch Hornhaut. Nur ein bisschen mehr Fettpolster unter Zehen, Ballen und Ferse, wie Hunde oder Katzen unter ihren Pfoten. Hornhaut entsteht in Schuhen, die drücken oder durch eine Fehlbelastung beim Barfussgehen. Das beste Rezept gegen Hornhaut ist es also, mit gezielt darauf trainierten Füssen barfuss zu gehen.

Fotografen

Aufmacherbild: Carina Dahlhaus

Sonstige Bilder: Tino Kukulies und Nadine Targiel (siehe Bildunterschrift)

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